Barbara Ludwig


Mallorca-Krimis sind inzwischen meine Leidenschaft. Ich liebe die Insel und jedes Jahr bin ich ein paar Wochen im Frühjahr dort anzutreffen.


Nach: Lieben Sie Chopin? kommt Lieben Sie Tango?


Die Münchner Kriminalkommissarin Anna Solero wird von ihrem mallorquinischen Kollegen nicht ohne Hintergedanken zu einem Tango-Event der Sonderklasse nach Peguera eingeladen. Die berühmte Tango-Queen Ines wird bedroht. Als sie sich in Sicherheit bringt, ahnt niemand, dass sie sich ihrem Mörder freiwillig ausliefert.


 Hier ein Leseausschnitt:

 

 Er

Der Himmel tanzte Tango. Sehnsüchtig spiegelte er sich, verführte mit seinem tiefen Blau das Meer und bat die Sonne zum Tanz.

Tango ist mein Leben.

Und Ines? Sie ist der Tango, ist eine Göttin, meine Göttin.

 In Wellen fallen ihre dunklen Haare auf die Schultern. Oder sie trägt sie aufgesteckt zu einem kleinen Knoten und ich genieße den Blick auf ihren anmutigen Nacken. Ihre weiblichen Formen, der Wunsch, sie zu berühren, verfolgt mich bis in die Träume. Ihre bestrickende Eleganz, die Biegsamkeit ihres Körpers, ihre Sinnlichkeit beim Tanzen, bezaubert mich. Jede Geste von ihr hat sich mir eingeprägt: die Haltung ihrer Finger, das Zurückstreichen einer lästigen Strähne, der prüfende Ausdruck ihrer Augen, ihr Lachen mit den kleinen Lachfältchen um ihren Mund. Die Liste ist endlos.

 Beim ersten Treffen zögerte ich, mich ihr zu nähern. Verharrte wartend im Dunkel, beobachtete sie. Am zweiten Tag wagte ich, sie aufzufordern.

 „Kommen Sie, kommen Sie“, sagte sie, zeigte mir die korrekte Haltung und schon schwebten wir zu dieser melancholischen Melodie über das Parkett. Die Angst vergessen, meine Hand auf ihrem Rücken könne sich schwitzig anfühlen, meine Beine sich verheddern, meine Schritte falsch ausfallen.

 Ich habe sie wieder und wieder gebucht, habe mich eingeschmeichelt. Ja, das habe ich. Sie kennt mich inzwischen beim Namen. Bruchstücke meiner Existenz habe ich ihr zu Füssen gelegt, vor diese bewundernswerten Füße in den hohen Schuhen, in denen die Beine einer Frau begehrenswert erscheinen. Ihre Fesseln, ihre muskulösen Oberschenkel, die ich nicht müde werde, beim Tanz zu beobachten, ihren runden Hintern, der sich im engen Kleid abzeichnet. All das erregt mich, all das ist mein Lebensinhalt.

 Inzwischen beherrsche ich den Tango in vielen Facetten und hoffte, sie würde mich bitten, für den Tangowettbewerb ihr Partner zu sein. Sie rief mich an, doch sie bat mich nicht um diesen, sondern um einen anderen Gefallen. Sie bat mich um Hilfe. Mich!

 Und jetzt stecke ich in einem Dilemma:

Ich erhielt den Auftrag, Ines zu töten. Und sehe keine Chance, das Ansinnen abzulehnen.

Rabea Müller


Aus dem 1. Kapitel von "Lichtpunkte der Fantasie"



„Fühl dich leicht!“



Bilder im Kopf


Gedankenpünktchen

tanzen um mich herum

und durch mich

hindurch …


Ich möchte sie fangen,

diese kleinen Gespenster!

Und dann

will ich sie

zusammenfügen

zu einem Bild

in mir –

einem großen

und nicht nur einem …


Schreiben ist

wie ein Licht

am Ende des Tunnels.

Doch gehe

behutsam

mit deinen

Wörtern um!

Nicht jedes Wort

mag Gesellschaft

und manche Wörter

wollen

nicht neben

ihren ärgsten Feinden

stehen …


Wörter im Kopf.



Tintenklecks


Manchmal

ist sie still,

meine Zeit –

so, als hätte sie

mir nichts mehr

zu sagen,

als hätte sie

schon alles

erzählt, was es

zu erzählen gibt …


Doch dann wieder

ist sie beredet und

schenkt mir die

Vergangenheit,

damit ich die Zukunft

mit Erinnerungen

füllen kann.

Jede Minute ist jetzt

voll von Inspiration,

eifrig notiert mit

großen und kleinen

Tintenklecksen

Tintenkleckse

Tintenklecks …


Heute ist so ein Tag!

Ich versuche,

wie schon so oft,

das Leben festzuhalten,

möchte es in Buchstaben kleiden,

in gebügelte Wörter stecken und

ihm ganz viel Sinn verleihen.


Ein dicker, schwarzer

Tintenklecks

… klecks …

… kleck …

fällt aufs Papier,

rollt sich in die Breite

und grinst mich

schadenfroh an.

Wut packt mich!

Ich tauche die Spitze

meines Füllfederhalters

in den dicken Klecks

und ziehe die Tinte

auf das Papier hinaus,

raube dem Klecks

die Farbe und verteile

sie in Mustern

um ihn herum.


Und plötzlich ist sie da,

die Idee!

Siegesgewiss lächele

ich meinem dicken

Tintenklecks zu.


Öfter mal tintenklecksen.



Zustand


Fantasie,

kompakt

und voller

Farben,

Formen,

Ideen

mit denen

ich spielen

und die ich

zu etwas

Neuem

denken

kann …


Schon immer

ließ sich

mit meiner

Fantasie

ein Raum

modellieren –

ein Raum,

in dem ich

weit weg

von allem

sein konnte.


Heute allerdings

ist der Raum

der Fantasie

aufgrund von

Renovierungsarbeiten

geschlossen –

die Vergangenheit

wird abgeschliffen

und für das

Morgen

vorbereitet.


Zeit,

meinem Raum

einen neuen Anstrich

zu geben …



Traumzipfel


Das Morgengrauen

schleicht sich auf

leisen Sohlen an

und noch ehe

ich es verjagen kann,

hat es die Nacht

aus meinem Traum

verscheucht …


Mein Traum,

es war ein sehr schöner,

einer von denen,

die man immer

weiterträumen

könnte …


Doch

das Licht des noch

unberührten Tages

hat ihn so lange

durchleuchtet,

bis er sich unter

dem Kopfkissen

verkroch,

um der Helligkeit

zu entgehen …


Nicht mal

mit gutem Zureden

wollte er mir

einen Zipfel

seiner Schönheit

schenken –

hatte er doch Angst,

dass er diesen Zipfel

nie wieder

selber sehen

würde …


Eigentlich,

so denke ich,

ist ein Traumzipfel

doch ein Geschenk

meines Traums

an mich

und

an die Zeit …

 

Oder?



Herbstbuchstaben


In meinem Buchstabenkästchen

tummeln sie sich -

große wie kleine Buchstaben

und immer wenn ich

den Deckel anhebe,

habe ich das Gefühl,

geradewegs

in ein Wespennest

zu schauen …


Irgendein Buchstabe

müsste einfach

meine Bitte hören

und seine Mitbuchstaben

dazu animieren,

sich zu Worten

zusammenzusetzen

die das ausdrücken,

was sich nicht so einfach

ausdrücken lässt …


In allen Winkeln

meiner Seele

suche ich nach

der Freiheit und

finde sie schließlich

in einer dampfenden Tasse Kaffee,

zwischen den Seiten eines Buches,

in den Klängen eines Liedes,

spüre sie in der Wärme eines Menschen

und … schreibe sie auf.


Ein Windstoß erfasst

die bunten Blätter

auf dem Gehweg und

wirbelt sie raschelnd

vor sich her.

In mir

ist mehr Kraft,

als ich oft zu haben glaube.

Und mehr Freiheit!


Da!

Meine Buchstaben

haben sich alle

um mich herum

versammelt und

ein Wort gebildet -

es ist nicht Freiheit,

was da vor mir steht,

sondern etwas,

was noch tiefer geht:

SCHREIBEN!


Alles beginnt mit einem

einzigen Buchstaben …

Fritzi G. Roeder


Ihr Motto: „Realität ist eine Illusion, aber eine sehr hartnäckige“

(Das Zitat wird Albert Einstein zugeschrieben)


aus „Ein (v)erzaubertes Leben – Heiterer und skurriler Berufsalltag einer Zauberkünstlerin“

 

„Diese herzerfrischende Biografie einer Zauberkünstlerin, die ihr reiches bewegtes Leben aus weiblicher Perspektive mit uns teilt, ist vollgepackt mit zahlreichen historisch interessanten, spannend alltäglichen sowie zauberisch lehrreichen Geschichten, die sie eloquent und atmosphärisch dicht zu formulieren weiß.“ (Buchbesprechung der Fachzeitschrift Magische Welt 2/2022)


 

Im Schurkenviertel


Ein Auftrag zu Maxls Kindergeburtstag, zu dem selbstverständlich auch die Eltern seiner Freundinnen und Freunde eingeladen sind, führt mich in einen Vorort Münchens. Der neu herausgegebene Stadtplan ist ein dickes Ring-Buch mit mehr zusätzlichen Städten als der alte, dafür ist die Schrift viel kleiner, geradezu winzig geraten. Vorab habe ich mich schon informiert über die Straße, aber vor Ort ist die Straße ohne Lupe nicht zu finden - GPS und Handy gab es damals noch nicht. So irre ich in den verwinkelten Straßen umher, die Unauffindbarkeit wird noch durch einige Einbahnstraßen gesteigert. Das Dorf besteht aus einfachen Holzhäusern in kleinen Vorgärten mit Blumen- oder Gemüsebeeten und ein paar Sträuchern.

Es ist Mittag, eine flirrende Hitze liegt über menschenleeren, staubigen Straßen; eine Szene, die mich an den Kultfilm 'High Noon' mit Gary Cooper erinnert. So dramatisch verläuft meine Suche nicht. In einem Vorgarten entdecke ich schließlich in gebückter Haltung eine korpulente Gestalt in einer leuchtend blauen, bodenlangen Latzhose, wahrscheinlich bei der Gartenarbeit. "Hallo, Sie!", rufe ich. Die Gestalt rührt sich nicht. Ich wiederhole meinen Ruf, diesmal etwas lauter. Sie verharrt weiter regungslos. Wahrscheinlich ist sie alt und hört schlecht. Ich trete näher und sehe zu meinem Erstaunen, dass es noch zwei leuchtend blaue Beine gibt, die zu der Plastik eines Bären gehören, der den Hals in den massigen Schultern versteckt und den Kopf mit den kleinen runden Ohren aufmüpfig hocherhoben hält. Ich habe das Gefühl, er lacht mich aus.

Also weitersuchen bis ich auf einen Mann mittleren Alters treffe, dem Aussehen nach ein Südländer, den ich nach dem Weg frage. "Ich habe Sie schon herumkurven gesehen.", sagt er lachend. "Was wollen Sie denn hier in diesem Viertel?"

Ich erzähle ihm von der Zaubervorstellung, die ich gleich geben werde, für den Fall, dass ich die Adresse finden werde.

"Ah, Zauberin sind Sie! Ich war auch mal in einem Zauberclub bei Siemens", erzählt er mit einem leichten ausländischen Akzent. Von diesem Club habe ich schon gehört. Für mich ist es ein gutes Omen, dass der einzige Mensch, den ich hier treffe, ein Zauberer ist.

"Woher kommen Sie?", frage ich.

"Von hier." Ich will wissen, woher er ursprünglich kommt.

"Aus Persien." antwortet er. Das sagen alle, die aus dem Iran kommen. Er fragt:

"Was machen Sie hier in diesem Schurkenviertel?" "Wieso Schurkenviertel?" Unwillkürlich denke ich an 'High Noon'.

"Alle diese Straßennamen sind nach Schurken benannt, nach Deutschen in Ost-Afrika, das damals deutsche Kolonie war." Das ist mir jetzt richtig peinlich und ich sage:

"Die Straße, die ich suche, ist eine ganz kleine Straße, vielleicht war das auch ein ganz kleiner Schurke." Der Mann lacht und sagt:

"Hier ist ein sehr armes Viertel. Schauen Sie sich die alten Holzhäuser an." Dann erklärt er mir den Weg. Es ist eine schmale, kurze Straße mit einem alten Holzhaus am Ende. Ich bin am Ziel.

Vor dem Haus ein Berg von Kindersandalen. Ich überschlage die Anzahl der Kinder. Es sind viel mehr als mir gesagt wurde. Von der Gastgeberin werde ich herzlich empfangen, übertönt von Kindergeschrei und Hundegebell. Eine fröhliche Gesellschaft schaut mir neugierig zu, wie ich meinen Zauberwagen vorsichtig durch die Gäste, vorbei an krabbelnden Kleinkindern und Hunden zum mir angewiesenen Platz schiebe. An einer Wandseite ist ein reichhaltiges Tortenbuffet aufgebaut, an einer anderen Wand sitzen Gäste auf Kissen dicht beisammen. Den Mittelpunkt bildet ein Biedermeiersofa mit verblasstem rosa Plüschbezug. Zwei braune Jagdhunde Hunde schieben sich durch die Menge und beschnuppern kurz mich und meinen Zauberwagen. Ein schwarzer Langhaardackel versucht sein Revier abzustecken und hebt sein krummes Beinchen an einem ebensolchen des Biedermeiersofas. Die Stimmung im Raum ist optimal und ich bin schon in voller Fahrt. Das ist mein Publikum und meine Atmosphäre, die ich liebe. Es braucht in dieser etwas chaotischen und verrückten Atmosphäre kein vorsichtiges Herantasten an das Publikum, kein Warm-werden-Müssen in den ersten Minuten; hier darf ich mich spontan zauberisch austoben und auch ein bisschen verrückt und chaotisch sein wie unter guten Freunden. Am Schluss forme ich Ballontiere, die in der ausgelassenen Stimmung der Kinder oftmals platzen - aber ich habe ja genügend dabei. Der 6-jährige Maxl soll noch eine Rakete bekommen. Ich blase einen langen dünnen Luftballon auf, ohne ihn zu verknoten, halte ihn in Richtung Zimmerdecke, um niemand zu verletzen, die Kinder zählen 'Eins - zwei - drei.' Dann werde ich den Ballon loslassen, der geradeaus durch die Luft schnellt. So ist es geplant. Die Erwachsenen haben inzwischen angefangen, sich an dem Tortenbuffet gütlich zu tun. Der Großvater des Geburtstagskindes, ein freundlicher Herr mit schütterem weißen Haar, hat sich gerade ein großes Stück einer duftig-zarten Erdbeersahne auf seinen Teller geladen und ist dabei, die schmale wabbernde Köstlichkeit vorsichtig balancierend zwischen am Boden krabbelnden Kleinkindern an seinen Platz zu bringen, auf seinen Lippen ein seliges Lächeln im Vorgenuss dieser Götterspeise. Er war mir schon während der Vorstellung aufgefallen, weise lächelnd wie ein Philosoph, vielleicht hat er an seine Kindheit gedacht, an Zaubervorstellungen von damals.

"Achtung - Fertig los!", rufe ich - besorgte Eltern schirmen ihre Säuglinge mit Händen ab vor der zu erwartenden Rakete. Ich habe die Rakete zwar auf die Zimmerdecke gerichtet. Sie hat aber einen anderen Weg genommen und schießt ungeplant zielsicher mitten in das rosa luftig-duftige Sahnegebilde des Großvaters und auf der anderen Seite wieder hinaus. Tschsch!!! Wie nach einer Explosion wirbeln unzählige rosa Sahneflöckchen durch die Luft und tanzen in der Nachmittagssonne. Die Kinder kreischen, der Dackel bellt, die beiden Jagdhunde stimmen mit ein, die Erwachsenen lachen. Der vergeistigte Großvater starrt völlig entgeistert auf seinen leeren Teller und murmelt fassungslos: "Alles ist fort." Das stimmt zwar nicht ganz, denn einige der rosa Sahneflöckchen haben sich auf seinen weißen Haarspitzen niedergelassen und leuchten in der Sonne wie winzige Rubine. Das war entschieden der Höhepunkt einer gelungenen Zaubervorstellung.

Wilma Wally


Ausschnitt aus "Ein Miauen zum Glück"


 aus Kapitel 19 Aufbruch

Rückkehr aus Russland mit Katzen im Gepäck


Am ersten März (1992) brachten Juri und Ira (die Freunde) sie (Vera) zum Flughafen. Sie waren frühzeitig dort. Über das reichliche Gepäck sah man großzügig hinweg. Für den Katzenkorb hatte sie ja bezahlt.

 Das Problem lag woanders. Die Zollbeamten schauten nur kurz auf die Katzen – schnell fiel deren Entschluss: „Die lassen wir nicht durch“. Schock! Die Bescheinigung, dass es Misch-linge seien, reichte ihnen nicht aus. Juri und Ira hatten noch gewartet. Ein Beamter schickte Vera zum stellvertretenden Vorsteher des Zolls, Juri folgte ihr. Er wollte mit ihm reden und er versuchte lange, aber ergebnislos, ihn zu überreden. Vera wartete draußen. Dann schickte Juri sie hinein, vielleicht würde sie noch neue Argumente finden. Ursprünglich hatten sie vereinbart, sie müssten sagen, die Katzen seien nicht reinrassig und daher nicht viel wert, denn wertvolle Dinge aus Russland auszuführen sei verboten, da es das Besitztum Russlands schmälern könnte. Darunter zählten Kunst und Musikinstrumente, aber auch Tiere, anfangs nur Hunde, erst später auch Katzen. Nachdem Juri diese Strategie versucht hatte, fügte Vera an, sie hätte die Katzen im Katzenclub gekauft und dort hätte man ihr versprochen, dass es keine Probleme bei der Ausfuhr geben würde. Da schien es, dass der Zollbeamte nachgäbe. Er wollte nun Papiere vom Club sehen und ob sie auch offiziell Geld gewechselt habe, um diese kaufen zu können. So zeigte sie also doch die Stammbäume der Katzen, vom Club ausgestellt, und eine Tauschbescheinigung in Höhe von zwölftausend Rubel, weitere Bescheinigungen hatte Vera nicht mehr. Dann meinte er aber, diese Katzen könnten jede schon zehntausend Rubel kosten und wenn sie nicht belegen könne, dass dies nicht so sei, gäbe er sie nicht mit. Ende.

Ohne die Katzen wollte Vera aber nicht ausreisen, also verschob sie am Lufthansa-Schalter den Flug.

 Betrübt fuhren sie zurück. Auf der Fahrt begann das Auto erbärmlich zu quietschen und Juri konnte Vera kein weiteres Mal befördern.

Dummerweise konnte sie Reza (ihren Freund), der sie mit einem geliehenen Auto abholen wollte, nicht zeitnah darüber informieren, dass sie nicht kommen würde, denn ein Eilgespräch, das sie sofort anmeldete und in einer Stunde hätte stattfinden sollen, kam nicht an. Hatte das Telefon von Marja (ihre Gastgeberin) nicht richtig funktioniert? Als sie später nochmal beim Fernamt anrief, lag keine Anmeldung vor. Irgendetwas war also gründlich schief gelaufen. Sie nahmen eine neue Buchung an, jetzt nur noch für zwei Uhr nachts möglich, Mitternacht in Deutschland. Zu dem Zeitpunkt war Reza von der Fahrt nach Frankfurt, wo Vera landen sollte, noch nicht wieder zuhause. Erst um drei Uhr rief dann er an und ahnte schon, dass es mit den Katzen Probleme gegeben hatte.


Am nächsten Tag fuhr Vera als erstes nochmal zum Flughafen. Sie wollte mit dem obersten Chef des Zolls sprechen. Dort schickte man sie aber zu einem anderen Stellvertreter und der wieder zu dem vom Vortag. Jener wollte sie abwimmeln, er arbeite heute nicht, gleich komme ein Kollege, mit dem könne sie reden und er ließ sie stehen.

Wenige Minuten später kam er wieder zurück, nahm sie bei Seite und sagte, wenn sie einen Brief bringe, in dem Farbe und Preis der Katzen drin stünden und dass Vera sie offiziell gekauft habe, dann ließe er sie durch. Sie wollte noch wissen, ob denn die Katzen dabei auch reinrassig sein dürften. Er bejahte, der Preis dürfe nur nicht über ihrer Tauschsumme bei der Bank liegen.

 Am Abend marschierte sie zum Katzenverein und erzählte von ihrer Misere. Der Leiter war sofort bereit, ihr den nötigen Brief zu schreiben und meinte, dies sei neu, wohl erst seit diesem Jahr. Er schrieb, dass Vera diese halbpersischen Katzen der und der Farbe für fünfhundert und dreihundert Rubel gekauft hätte und dass sie für das Volk keinen besonderen Wert darstellten. Stempel, Unterschrift. Vera konnte nur hoffen, dass es reichte.

Nun stand das Problem an, wann sie wieder fliegen könne. Bei Lufthansa konnte man ihr nur anbieten, am nächsten Freitag, den sechsten, in der Früh nachzufragen, ob am Abend Plätze frei seien.

Zum Trost traf sie sich am Mittwoch mit Swetlana, einer der Deutschstudentinnen, und jene nahm Vera auf den ältesten Friedhof von Sankt Petersburg mit. Dort gab es eine kleine Kirche, die einer Frau namens Ksenia gewidmet war. Sie sollte verrückt gewesen sein, wurde aber heiliggesprochen. Ihr sagte man die Kraft nach, Wünsche erfüllen zu können, wenn man diese auf einen Zettel schrieb und bei der Kirche ließ. Vera schrieb also auf ein Blatt Papier, dass sie am Freitag mit Katzen ausreisen möchte und steckte es in eine Ritze der Mauern.

Am Donnerstag fuhr sie vormittags wieder zum Zoll am Flughafen. Um halb eins empfing derselbe Stellvertreter sie. Er prüfte alle Papiere sorgfältig, verglich sie miteinander und stellte fest, dass Vera die Katzen nach Brief erst am 15.2. gekauft hätte - sie wählte dieses Datum, weil ihre Tauschbe-scheinigung auf den 13.2. lautete -, sie wären aber schon am 24.1. geimpft worden, wie komme denn das zustande? Auch letzteres Datum war von der Tierärztin für eine nicht gegebene Impfung erfunden, Vera log aber, diese Impfung sei schon bei den Vorbesitzern gegeben worden, sie seien ja schon im November geboren und im Januar hätten sie den Kauf beschlossen, wenn sie geimpft würden. Das reichte dem Zollbeamten und er schrieb eine kleine Resolution, die die Ausfuhr genehmigte. „Resoljútsia“, auch das war so ein beliebtes russisches Wort. Es hieß einfach „Beschluss“.

Sie ging noch zur Quarantänestation, ob es nicht problematisch sei, wenn sie jetzt nicht am Freitag ausreise, weil die Bescheinigung nur zehn Tage gültig wäre. Man antwortete ihr, sie könne sie problemlos verlängern. Damit war sie zufrieden.

Freitag früh wagte sie kaum, bei Lufthansa anzurufen, aus Angst, sie könnten ihr keinen positiven Bescheid geben. Als sie es endlich tat, war man auch nicht zuversichtlich, es hätte keiner abgesagt. Sie solle aber dennoch einfach zum Flughafen kommen und bitte zwei Stunden vor Abflug da sein.

Juri und Ira hatten keine Zeit und auch kein Auto mehr und konnten Vera leider nicht begleiten, sie schickten ihr aber Iras Schwager mit. Marja Viktorowna bestellte ein Taxi. Um sechzehn Uhr waren sie am Flughafen. Dort wartete Swetlana auf sie, mit einer ersten Osterglocke in der Hand, ein wahrer Trost in der Einöde der Abfertigungshallen. Eine Stunde warteten alle gemeinsam, die die Katzen mit stoischer Ruhe aushielten. Es kamen viele Leute, einige hatten ebenfalls Probleme am Schalter und gingen wieder. Veras Hoffnung wuchs mit jedem, der ging. Schon um siebzehn Uhr hieß es dann, es seien noch Plätze frei und man ließ sie eintreten. Die Freunde warteten noch, während sie durch den Zoll ging. Der eine Zollbeamte rief noch einen anderen zu Rate, der sagte aber: „Sie sehen doch die Unterschrift (vom Stellvertreter des Zolls)“ und gab den Brief zurück. Geschafft. Vera glaubte am Ziel zu sein und verab-schiedete sich. Doch dann kam die Passkontrolle und wieder etwas, was sie übersehen hatte – ihr Visum war abgelaufen! Der Beamte rief wieder einen Kollegen herbei. Jener flüsterte ihm zu: „Prapuskáj“, „Lass sie durch“ und Vera stimmte innerlich voll zu. Man entließ sie. Durchatmen, Endlich! Ksenia sei Dank! Sie wurde von einer sehr freundlichen Frau zum Bus begleitet. Was für ein Abschied!